Wahrnehmungsakustik
Psychoakustik – alles nur Schall und Rauch?
Wir hören bereits im Mutterleib. Rund 4 1/2 Monate nach der Befruchtung ist unser eigentliches Hörorgan im Innenohr, die Cochlea mit dem Labyrinth, bereits in seiner endgültigen Größe entwickelt und im Frequenzbereich der Mutter bereits für akustische Reize aufnahmebereit, wobei sich die Fähigkeit tiefere Frequenzen wahrzunehmen erst kurz vor der Geburt entwickelt. Erst nach der Geburt gesellen sich weitere Fähigkeiten, wie das Sehen oder Riechen, dazu. Dabei gilt: Alle Wahrnehmungen werden vom Gehirn, nach verschiedenartigen – teils durch die eigene Persönlichkeit und Erfahrung geprägten – Kriterien, bewertet.
Der Mensch besitzt, gemäß der modernen Physiologie, neun Sinne mit denen er seine Umwelt wahrnimmt. Sehen und Hören stellen dabei die wichtigsten und somit dominantesten Informationsübertrager dar (siehe u.a. Rainer Guski „Wahrnehmung“). Der Mc Gurk Effekt verdeutlicht ferner, dass der Sehsinn den Hörsinn dominiert. In der Psychoakustik gilt daher: das Auge hört mit. Neben unseren Augen ist es uns auch durch unsere Ohren und akustische Lebenserfahrung möglich wahrgenommene Räumlichkeit, also die empfundene Größe eines Raums oder Ortung, also die Position in einem Raum zu interpretieren. Diese kognitive Leistung findet schier unbeeinflussbar, fortwährend und selbständig statt. Ob wir wollen oder nicht.
Aber auch Gefühle stellen eine deutliche Einflussgröße auf unsere Wahrnehmung dar. Je nach Stimmung kann selbst Lieblingsmusik abweichend empfunden werden, dabei die Tonqualität situationsabhängig akzeptabel sein. So kann auch anspruchsvolle Musik bei geselligem Beisamensein über Lautsprecher minderer Qualität akzeptabel klingen, welche bei hifidelem Hinhören versagen würden. Klanggütliche Interpretationen können demnach individuell sein. Über unsere Ohren nehmen wir unsere Umwelt nicht nur bewusst im Alltag wahr, sondern auch unbewusst, wie z.B. im Schlaf. Unter anderem können Alkohol und/oder Medikamente die Sinne verzerren.
Das Gehör besitzt keinen Ausschalter. Durch diesen von der Natur förmlich „erzwungenen“ permanenten Lernprozess verfügt der Mensch über eine ausgeprägte auditive Wahrnehmungskompetenz, die er selbst nicht selten unterschätzt. Der Klangeindruck von einem umhüllenden Raum bleibt daher stets ein sensibles Thema, da wir es gelernt haben akustische Information unterschwellig, rund um die Uhr, zu beurteilen. Das Erleben unserer Umwelt wird quasi ganz nebenbei angelernt und ebenso nebenbei bewertet – lebenslänglich.
Die Psyche und die Akustik
Die Interpretation der eigenen Umwelt beruht letztendlich auch auf der Wahrnehmung und Bewertung der umgebenden (Raum-)Akustik. Jedes Signal wird in realer Umwelt, entgegen der Übertragung in einem schalltoten Raum, auf seinem Wege zum Ohr – mehr oder minder – beeinflusst. Das vom Ohr aufgenommene Mischprodukt (die erste Wellenfront, Reflexionen, etc.) lässt durch unsere angelernte Erfahrung automatische Rückschlüsse auf die das Signal umgebende Umwelt zu.
Wohlbefinden – wie z.B. sich von einem Raum angenehm „umgeben“ zu fühlen – und Irritation – wie z.B. durch Fehlortung von Musik beim Flüstergalerieeffekt – liegen nah bei einander. Neben dem Nachhall tragen natürlich auch Reflexionsartefakte (z.B. Echos) zu einer Empfindung bei. Die Interpretation und Gewichtung von Schall hängt im Wesentlichen mit der zeitlichen Struktur sowie mit der tonalen Eigenschaft des Signals zusammen.
In konzentrierter Erwartung, wie zum Beispiel während einer Aufführung, sind unsere Sinne meist geschärft und allzeit bereit. So werden sich widersprechende Sinneseindrücke oder klangliche Unzulänglichkeiten schnell als unnatürlich oder gar als störend empfunden. Je näher Signale und eventuelle Effekte klanglich an alltagsvertrauten Eindrücken sind, desto realer werden sie als eine tatsächliche Umgebung empfunden.
Unsere Sinneseindrücke werden vom Gehirn logisch verknüpft. Die hierfür jedem wohl vertrautesten Beispiele sind z.B. die richtungsbezogene Beschallung und Synchronität von Bild und Ton bei einem Film (so genannte Lippensynchronität; englisch: lip-sync). Hier zeigt sich was unser Gehirn in der Lage ist aufzudecken – gleich, ob wir uns selbst akustisch für versiert halten oder nicht. Wie bereits erwähnt: Das Auge hört mit! So wird die Stimme eines Sprechers, binnen einer gewissen Zeitspanne, aus der Richtung seiner Erscheinung erwartet.
Schließt man die Augen für eine gewisse Zeit interpretiert das Gehirn die Struktur des Signals (z.B. Hall, Echo, Reflexionen) und schließt dabei nicht nur auf die Richtung einer Schallquelle, sondern ebenso auf Raumgröße (z. B. Bade- oder Wohnzimmer) und dessen Oberflächen/Einrichtung respektive Atmosphäre (z.B. Fliesen oder absorptive Materialien). Öffnet man nun die Augen beginnt automatisch ein Bewertungsprozess, welcher den visuellen mit dem akustischen Reiz vergleicht. Stimmen diese Reize nicht überein entsteht eine kognitive Dissonanz – eine Unvereinbarkeit, also der Widerspruch von Eindrücken.
Die menschliche Sensorik kann somit gezielt zur Bildung von Illusionen beeinflusst werden. Zum Beispiel kann eine mit der dargestellten Szene korrespondierende Akustik einen Theaterbesucher gänzlich räumlich umgeben und ihn somit emotional tiefer in die Darbietung eintauchen lassen. Gleich ob dies eine Szene in einer Kirche, Höhle, einem Badezimmer, Keller oder Gebirge ist. Aber: Augen und Ohren sind nur ein Teil. Weicht z.B. der Geruch von der Szene ab entsteht eine neue Immersion. Der Mensch nimmt also gesamtheitlich war.
Übrigens: Wahrnehmungsgerechte Beschallung ist unser Steckenpferd.